Ein Sprintduell in der 89. Minute – Sekunden entscheiden über Sieg oder Niederlage. Doch wie viel Kraft braucht es wirklich, um schneller zu sein? Und ab wann bringt zusätzliches Training keinen messbaren Vorteil mehr?
Eine aktuelle Studie von Vial et al. (2025) liefert darauf erstaunlich präzise Antworten – mithilfe moderner Methoden aus dem maschinellen Lernen.
Hintergrund
Lange galt: Mehr Kraft bedeutet automatisch mehr Geschwindigkeit. Doch diese Regel ist nicht immer gültig. Mit Hilfe eines sogenannten Random-Forest-Modells, das komplexe Zusammenhänge erkennen kann, untersuchte das Forschungsteam, welche körperlichen Parameter tatsächlich entscheidend für die Sprintleistung sind – und wo die Grenze liegt, ab der mehr Kraft nichts mehr bewirkt.
Studiendesign
Untersucht wurden 60 männliche Fußballspieler aus der Western Australia National Premier League
(Ø 18 Jahre, 1,77 m, 71 kg). Alle Spieler waren verletzungsfrei und regelmäßig im Training.
Nach einem standardisierten Aufwärmprogramm absolvierten sie:
- Sprinttests über 20 m und 40 m mit präziser Zeitmessung
- Sprungtests: Countermovement Jump (CMJ) und Standing Broad Jump (SBJ)
- Krafttests: Isometric Mid-Thigh Pull (IMTP) und Nordic Hamstring Exercise (NHE)
Jede Übung wurde mehrfach wiederholt, um verlässliche Durchschnittswerte zu erhalten.
Ergebnisse
Die stärksten Prädiktoren für Sprintgeschwindigkeit waren:
- Isometric Mid-Thigh Pull (IMTP): maximale isometrische Zugkraft relativ zum Körpergewicht
- Standing Broad Jump (SBJ): horizontale Sprungkraft und Impuls
Beide Tests erklärten gemeinsam bis zu 87 % der Sprintzeit-Varianz – ein beeindruckend hoher Wert.
Der entscheidende Punkt: das Kraft-Plateau
- IMTP: Ab etwa 2,0 × Körpergewicht kein weiterer Einfluss auf die Sprintzeit
- SBJ-Impuls: Ab 0,29 m·s⁻¹ ebenfalls abnehmender Nutzen
Tests wie der CMJ oder die Nordic Hamstring Exercise zeigten dagegen nur geringe Aussagekraft.
Bedeutung für die Praxis
Die Erkenntnis ist klar: Mehr Krafttraining ist nicht automatisch mehr Speed.
1. Kraft aufbauen – bis zur Schwelle:
Spieler unterhalb der Grenzwerte profitieren deutlich von gezieltem Kraft- und Sprungtraining.
2. Fokus anpassen, sobald die Schwelle erreicht ist:
Wer über 2,0 × Körpergewicht (IMTP) oder 0,29 m·s⁻¹ (SBJ) liegt, sollte das Training stärker auf Sprinttechnik, Koordination und Reaktionsfähigkeit ausrichten.
3. Regelmäßig testen statt pauschal trainieren:
Individuelle Analysen sind entscheidend. Nur so lässt sich erkennen, ob zusätzliche Kraftzuwächse überhaupt noch einen Leistungsvorteil bringen.

Fazit
Schnelligkeit entsteht nicht allein aus Muskelkraft – sondern aus dem richtigen Verhältnis von Stärke, Technik und Bewegungsökonomie. Wer seine individuelle Kraftgrenze kennt, kann gezielter trainieren, Verletzungen vermeiden und im entscheidenden Moment die entscheidende Zehntelsekunde schneller sein.

